10. Sonntag B - 09.06.2024 - EU-Wahl
Predigt zum 10. Sonntag im Lesejahr B 2024 - 06 - 09/Predigt ad EUROPA
In meiner Predigt möchte ich heute ganz beim Thema EUROPA bleiben. Prof. Manfred Prisching hat in der Kleinen Zeitung zur Vorbereitung auf die Wahlen in der EU insgesamt 8 Artikel über Europa geschrieben – großartige Impulse zum Nachdenken und Bedenken, was unseren kleinen Erdteil ausmacht. Da ist endlich etwas an Inhalten geliefert worden, was im Wahlkampf ja leider meist gefehlt hat: Statt Inhalte banale Phrasen, das geistlose Schüren von Ängsten und Hand in Hand damit die Verrohung der Sprache… Amanda Klachl hat’s auf den Punkt gebracht und zugleich Einiges offen gelassen, wenn sie sagt: „Was mein Wahlverhalten am meisten beeinflusst, ist die Wortwahl der Politiker.“ Ja, an ihrer Sprache werden sie erkannt…
Im Sonntagsblatt war überdeutlich der Appell aller Kirchen und Religionsgemeinschaften zu lesen, nur ja zur Wahl zu gehen – und das unter der Devise: Wähle den Frieden! Allen ihren Kritikern und Denunzianten zum Trotz dürfen wir nicht vergessen, dass es auch Dank der EU eine noch nie so lange dagewesene Friedenszeit in Europa gegeben hat wie jetzt. Die Weltöffentlichkeit hat das 2012 bereits anerkannt und die EU mit dem Friedennobelpreis ausgezeichnet.
Karl Veitschegger hat im Sonntagsblatt auf die „Qual der Wahl“ hingewiesen. V. a aber hat er auf die Katholische Soziallehre als Anhaltspunkt für die Stimmabgabe hingewiesen. Mit unserer Soziallehre im Hinterkopf kann man die Wahlwerbenden schon etwas genauer unter die Lupe nehmen. Man hat damit einige Kriterien dafür, wem man seine Stimme geben soll. Man kann und soll sich als gläubiger Mensch vor einer Wahl folgenden Fragen stellen:
- Wer zeigt in seinem Reden und Tun Respekt vor der Personwürde jedes Menschen, unabhängig von Alter, Nation, Religion usw.?
- Wem ist das Gemeinwohl aller Menschen ein Anliegen, nicht nur der Wohlstand einzelner Nationen oder Gruppen?
- Wer kämpft für Solidarität der Bevorzugten mit den Benachteiligten unserer Erde und wagt, dafür auch Verzicht zu verlangen?
- Wer nimmt das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe ernst und traut Menschen Eigenverantwortung zu (Subsidiarität)?
- Wer hat erkannt, dass unser Planet nicht länger ausgebeutet werden darf, sondern rasch Hilfe braucht, damit er das bewohnbare „gemeinsame Haus“ für alle auf der Erde sein kann?
Karl Veitschegger schreibt zum Schluss: Vielleicht sind Ihnen noch andere Fragen wichtig. Gott hat Sie und mich jedenfalls erwählt (!), Verantwortung zu übernehmen. Darum sollten wir zur Wahl gehen. Vielleicht müssen Sie beim Angebot der Parteien sagen: ‚Ich wähle das kleinere Übel.‘ (Auch das ist ein katholischer Moralgrundsatz.) Aber gehen Sie zur Wahl, bitte!
Genau so sehe ich es auch. Es ist wichtig, dass wir ernst nehmen und bewahren, was Europa ist und wofür Europa steht. Und wenn man nur irgendetwas von Demokratie begriffen hat, dann weiß man, dass es wichtig ist, unser Wahlrecht in der EU wahrzunehmen.
In der Mythologie taucht „Europa“ als Name für eine schöne phönizische Königstochter auf. Zeus verschaut sich in die schöne Europe. Um sie zu gewinnen verwandelt er sich in einen weißen Stier und bringt sie übers Wasser nach Kreta. Dort verführt der Entführer die Entführte. Dazu verwandelt er sich noch einmal – und zwar in einen Adler. Diese Liebesgeschichte hält ziemlich lang. Die schöne Europe schenkt dem Göttervater Zeus insgesamt drei Söhne.
In der Bibel taucht Europa erst im 16. Kapitel der Apostelgeschichte erstmals auf. Da ist Europa ein Bittsteller: Paulus hört in einer Vision in Kleinasien den Hilferuf eines Mazedoniers: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Aus dem heutigen Griechenland dringt ein Hilferuf Europas hinüber in die heutige Türkei. Ein Europäer bittet einen hochgebildeten Juden, der in Asien als Saulus aufgewachsen ist, der in Palästina studiert hat, der Christ geworden ist und der nun Paulus heißt: „Komm herüber und hilf uns!“ Ähnlich wie in der Mythologie kommt der christliche Glaube über das Wasser nach Europa, über das Mittelmeer, über ein Wasser, das aktuell freilich Jahr für Jahr auch zu einem Massengrab für Tausende wird, die an der Festung Europa scheitern.
In der Zeit des 2. Weltkrieges und danach wurde der Europagedanke neu geboren. Aber ehe Adenauer, Schuman, Churchill, de Gaspari auf den Plan traten, waren es Persönlichkeiten aus Osteuropa, die sich für ein geeintes Europa stark gemacht haben. Es waren weitblickende Personen aus Polen und Tschechien. Die Exilregierungen dieser Länder haben nämlich schon während des 2. Weltkrieges erste Pläne für ein neues Miteinander in Europa geschmiedet.
Papst Johannes Paul II. hat dann oft und gerne von den „zwei Lungenflügeln“ gesprochen, die Europa braucht: Er hat damit Ost- und Westeuropa gemeint, die (orthodoxe) östliche und die (lateinische) westliche Tradition.
Unsere Gebete und diese Sonntagsmesse mögen helfen, Brücken zu bauen, Gräben zu überwinden, Wunden zu heilen! Unsere Gebete, dieser Gottesdienst und die heutige Wahl mögen helfen, dass die EU wieder mehr wird, was sie sind: ein preisgekröntes Friedensprojekt! Machen wir Europa zu unserem Projekt. Wählen wir heute den Frieden! Amen.
Pfarrer Edi Muhrer